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25.09.2012
Interviews with Germans - Grace Schwindt
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In 2010 I went to New York to conduct interviews with eleven Germans, who live there. They include two writers, two visual artists, an electrician, a gynaecologist, an historian, a musician, a receptionist, a social worker, a diplomat. Grace Schwindt 1 ...

In 2010 I went to New York to conduct interviews with eleven Germans, who live there. They include two writers, two visual artists, an electrician, a gynaecologist, an historian, a musician, a receptionist, a social worker, a diplomat.

Grace Schwindt 1 Extrakt von dem Interview mit Michael Saur New York, 11.02.2010 Grace Schwindt: Das Kapitel, das ich mit dir besprechen möchte, beschäftigt sich mit der Frage, was kulturelle Produktionen für eine Rolle im Umgang mit deutscher Geschichte spielen oder gespielt haben. Es gibt diese Idee, dass die kulturellen Produktionen in der Weimarer Republik als Gegensatz zur Nazizeit empfunden wurden. Wie kann eine Nation, die solch tolle Sachen hervorgebracht hat, auch Massenmörder sein? Gab es diese Ansicht, diese Art von Betrachtung und meinst du, dass heute immer noch diese Idee des Gegensatzes existiert? Michael Saur: Produktionen der Weimarer Republik als Gegensatz zu den Verbrechen der Nazizeit? GS Ja. MS Ich weiß nicht, ob es wirklich so war, dass Deutschland nach der Weimarer Republik tatsächlich in eine totale kulturelle Barbarei verfallen ist. Es war ja nicht so. Kultur und Kunst war ja etwas, dass im Dritten Reich sehr hoch angesehen wurde. Es war nur stark zensiert auf sehr problematische Art, aber es hatte einen äußerst hohen Stellenwert. Ich weiß nicht, ob es zu weit führt, aber ich habe neulich ein Interview mit dem Maler Julian Schnabel gesehen. Der hat gesagt, für ihn sind die zwei meist missverstandenen Menschen des 20. Jahrhundert Andy Warhol und Adolf Hitler. Und ich hab danach gedacht: „Hmm, was kann er damit gemeint haben?“ Julian Schnabel selber ist Jude. Und ich weiß nicht, ob, aber er könnte folgendes gemeint haben: Es wird sich ja immer so ein bisschen über Hitler’s Hintergrund als Maler lustig gemacht. Er war Künstler, also er war Künstler von der Ausbildung her und ich glaube, ihm ist einfach sein größtes Kunstwerk stark aus dem Ruder gelaufen. Aber er hatte eine Vision, die mich auch manchmal an die Land Art Künstler hier in Amerika erinnert. Die wahnsinnig visionäre Projekte verwirklichen, die Jahrzehnte dauern. Das ist ein problematischer Vergleich. Aber sagen wir mal, von seiner Visionskraft, erinnert mich das schon daran und ich glaube Julian Schnabel könnte das gemeint haben. Um noch mal auf deine Frage zurückzukommen. Ich glaube nicht, dass dieses feinsinnige künstlerische Land, plötzlich ins Mittelalter zurückgefallen ist. Das ist eine komische Ansicht. GS Nein, das eh nicht. Was meine Frage dazu ist: Sollte es als Gegensatz empfunden worden sein, bedeutet es, dass die Hochkultur etwas moralisch Gutes sei. Wenn gesagt wird, die Weimarer Republik war sehr frei, und sie war am blühen und dann plötzlich kam die Nazizeit? MS Aber was war denn genau am blühen in der Weimarer Republik? In der Malerei, war es der Expressionismus. Das waren schon tolle Sachen, aber die waren natürlich auch stark durch die Zeit geprägt. Durch die Grauen des ersten Krieges. Und es ist ja nicht so, als herrschte da eine Wahnsinnsblüte, eine Art Renaissance, wo alles wunderbar Grace Schwindt 2 war. Sondern das Land war ja schon stak verwundet in der Zeit, und es hat sich auch in der Kunst der Weimarer Republik gezeigt. GS Ich hab diese Frage aufgegriffen, sie ist mir begegnet, ich selbst empfinde es ja nicht so. Wie konnte Nazideutschland entstehen, wenn es doch so eine Hochkultur gab? MS Ich versteh schon was du sagst, und alles was ich sage, sind spielerische Überlegungen, weil ich keinen Anspruch habe, es zu wissen oder wissen zu können, aber die Überlegungen sind vielleicht gestattet. Es ist ja auch alles miteinander verknüpft, vielleicht war auch der Expressionismus zum Beispiel in seiner Extremität etwas, was angekündigt hat, was danach folgen würde. Ich finde, diese Sachen sind schwer voneinander zu trennen. GS Ja MS Also wenn man sich diese Bilder von Georg Grosz vergegenwärtigt, die sind ja schaurig und diese zerbrochenen Menschen kommen noch aus den Verletzungen des ersten Weltkrieges. Das ist eigentlich ein bisschen visionär gewesen, denn das gleiche ist später wieder passiert, dann noch schlimmer. GS Ich denke auch, dass man Zeiten unbedingt in Verbindung bringen muss. Ich finde es zum Beispiel sehr problematisch, dass es den Wunsch zu geben scheint, Nazideutschland zu isolieren. So kam es mir immer wieder vor. Dass es eben was ist, was nicht zu einem gehört. Das ist mir immer wieder begegnet. Genauso problematisch finde ich die Idee, dass Faschismus nicht Teil von einem selbst, sondern immer außen ist. Und Nazideutschland für Deutschland eine Ausnahme war, obwohl der erste Weltkrieg direkt davor passiert ist. MS Das ist ja eh eine Binsenweisheit, dass man die zwei Kriege voneinander trennen kann. Der zweite Weltkrieg oder Hitlerdeutschland wäre ohne den ersten Krieg so nicht passiert, glaube ich. GS Wie meinst du das? MS Das Selbstbewusstsein war stark angeknackst und die Nazis waren extrem geschickte Populisten und Deutschland war eine neurotische Nation nach dem ersten Weltkrieg. Der Krieg war verloren, es musste alles abgegeben werden plus die Inflation, es ging nichts mehr. Und plötzlich kommt da jemand her, und sagt, das ist ja alles falsch, wir sind ja eigentlich Wer, wir können das alles wieder zum blühen bringen. Wie man in Amerika sagt, es wholesome machen, das war eine attraktive Idee. GS für die Leute. MS Für die Leute. Natürlich. Gerade die Expressionisten, ohne dass ich mich da festbeißen will, aber die haben die ganzen Neurosen aufgezeigt. Es war kein Wunder, dass die Nazis das dann als entartete Grace Schwindt 3 Kunst erklärt haben. Die haben es als Dekadenz und Entartet bewertet, also dem deutschen Volksgemüt nicht entsprechend. GS Denkst du, dass es sowohl bei den Deutschen, als auch in der westlichen Kultur, eine Tendenz gibt, dass man, wenn man Gegensätze empfindet, sie nicht als parallel existierend akzeptieren kann? Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand gut und böse gleichzeitig sein kann. Ich frage mich, ob diese Tendenz eben auch dazu führt, dass man sagen kann, Nazideutschland oder der Erste Weltkrieg ist eine isolierte Angelegenheit. MS Das ist sicher. Ich bin kein Experte, aber das ist in anderen Kulturen, sagen wir mal, in spirituellen Kulturen, sehr viel akzeptierter, eine Ueberschneidung von Gut & Böse. Nazideutschland bildet da auch eine Ausnahme. Es ist nicht so, dass man das in der deutschen Literatur nicht immer gefunden hat, dieses, wenn man so will, Yin und Yang des Guten und Bösen. Nazideutschland ist ausgenommen. Also das ist wirklich wie so ein Stachel, der da sitzt und keiner weiß, so recht was man damit tun soll. Aber ja, das stimmt auf jeden Fall, das so zu isolieren ist lächerlich. GS Und dann wollte ich dich noch fragen, was Hochkultur bedeutet, was dieser Begriff überhaupt impliziert? MS Weiß ich eigentlich auch nicht, was Hochkultur ist, also ich könnte wahrscheinlich beantworten, was der Mann auf der Straße denkt. Das ist die klassische Musik und das sind die Klassiker in der Literatur und das am meisten entwickelte und anerkannte in der Kultur. Das ist der Kanon. Von der Philosophie ausgehend hin zur Literatur, und zur Musik und auch zur Malerei. Aber das ist eigentlich immer erst aus der Retrospektive zu erkennen. Die Impressionisten zum Beispiel, waren während ihrer Zeit nicht Hochkultur, sondern für ihre neue Art verachtet. Das lässt sich wirklich erst später sagen, was in den Kanon aufgenommen wird und was nicht. Im Kanon der Hochkultur. GS Was ich mich frage oder worauf ich auch in meiner Recherche gestoßen bin, ist, dass historisch gesehen, Hochkultur, die, der führenden Gesellschaftsschicht ist. Somit waere es eine Klassenfrage. Es geht darum, wer das Geld und die Macht hat, zu bestimmen, was gezeigt wird und was als akzeptiert dargestellt wird. Dadurch kommt es zu diesem Begriff der Hochkultur und historisch gesehen ist das die Kultur der führenden Gesellschaftsschicht, beziehungsweise die des Adels. Später hat sich Hochkultur inhaltlich definiert, und wurde Teil des Bildungsbürgertums und Richtlinien von Bildungsstrukturen. MS Klar, ich habe neulich die Interpretation irgendwo gelesen, ich glaube, es war Mark Twain, der gesagt hat: Ein Klassiker ist ein Buch, das alle gern gelesen haben möchten aber keiner gelesen hat. Und das trifft auf die Hochkultur im Allgemeinen ganz gut zu. Es ist allgemein anerkannt, steht auch im Regal und gehört zum guten Ton. Aber richtig befasst wird sich damit nicht. Willst du sagen oder meinst du, dass die Nazis sich gegen die bürgerliche Hochkultur gewendet haben, und gesagt haben, das ist alles elitär, und die populistische Richtung eingeschlagen haben? Grace Schwindt 4 GS Ich glaube schon, dass es ein Gegensatz war. Dass viele, die im Kulturbereich gearbeitet haben, ob Jude oder Kommunist, diejenigen waren, die ins Exil gegangen sind oder umgebracht worden sind. MS Ja, das stimmt ja auch. Das stimmt, ja. GS Man könnte wahrscheinlich schon sagen, dass die Kultur, die unter den Nazis gefördert wurde, populäre Kultur war. MS Ja, das kann man sagen. Künstler sind immer Freidenker und lassen sich ungern einspannen und sind durch Vorgaben provoziert. Vielleicht ist das der Grund. Es haben viele Künstler gegen die Nazis geschrieben oder gearbeitet. Das ist eine Reflexbewegung des Künstlers, sich gegen die Obrigkeit zu wenden und sich das Zeitgenössische genauer anzugucken. GS Ja, oder auch nicht. Oder? MS Wieso? Meinst du, dass Leute sich damit gepaart haben? GS Ja. MS Ja, aber wer? Natürlich gab es Leute, aber das war vielleicht die zweite Garde, die das gemacht hat. GS Ja, oder die direkt im Auftrag gehandelt haben und zum Beispiel diese ästhetischen Bilder direkt für die Regierung hergestellt hat. Propaganda eben. MS Aber das ist nicht der richtige Künstler, der kann das nicht. Er kann nicht im Auftrag arbeiten. Da ist ja auch wenig von geblieben. Es gab ja so ein paar berühmte Fälle wie Gustav Gründgens, der Theatermann, der sich mit den Nazis verbündet hat, aber künstlerisch ist da wenig geblieben. Das sind also wirklich nicht die interessanten Leute gewesen. Oder wem haben sie die Reichsschriftkammer angeboten? Wer war das gleich wieder? GS Ich weiß es nicht. MS Ich weiß nicht, mir fällt’s jetzt nicht ein, wer das war. Aber man kann auch sehen warum. Wenn man sich so manche Bücher anschaut, die in den späten dreißiger Jahren geschrieben wurden, da ist schon viel drin, was die Leute vorhergesehen haben. Und dass es den Nazis nicht Recht war, und sie dagegen vorgegangen sind, das ist klar. Aber es ist ja umso toller, dass die Künstler das vorhergesehen haben. Grace Schwindt 5 GS Was zum Beispiel? MS Zum Beispiel Franz Werfel’s ‚Die blassblaue Frauenschrift’. Das ist ein kleines Buch, echt visionär, was den Opportunismus der bürgerlichen Klasse betrifft. Die ihre Chance da sehen, sich zu etablieren, und ihr kleines Häuschen oder größeres Häuschen zu sichern. Oder auch so ein Film wie von Charlie Chaplin, 'Der große Diktator’, ist auch wahnsinnig visionär. Der ist glaube ich sechs oder siebenunddreißig gedreht worden. GS Ja, da bin ich auch immer wieder überrascht, wenn ich den sehe. MS Was da schon alles vorweggenommen wird. Ich habe die Sammlung aller New Yorker Artikel der letzten hundert Jahre, und da habe ich neulich mal ein Porträt gelesen. Der New Yorker ist ein Magazin hier und die sind bekannt für ihre sehr langen Porträts, sehr intelligent gemachte Sachen. Da habe ich das erste Porträt von Hitler gelesen, das sie geschrieben haben, ich glaube das war kurz nachdem er die Wahl für sich entschieden hatte. Auf die eine oder andere Art, 34, glaube ich. Und auch da ist eigentlich schon alles vorhergesagt, was passieren wird. GS Und wer hat das geschrieben? MS Das war ein Journalist, das war kein Schriftsteller. GS Ein Amerikaner? MS Ein Amerikaner, ja. Der fuer diesen Artikel nach Deutschland gefahren ist. Es kam eindeutig vor, dass der Mann sehr sehr gefährlich ist, und in seinen Visionen und in seinem Ehrgeiz keine Grenzen kennt.

In 2010 I went to New York to conduct interviews with eleven Germans, who live there. They include two writers, two visual artists, an electrician, a gynaecologist, an historian, a musician, a receptionist, a social worker, a diplomat. Grace Schwindt 1 ...

In 2010 I went to New York to conduct interviews with eleven Germans, who live there. They include two writers, two visual artists, an electrician, a gynaecologist, an historian, a musician, a receptionist, a social worker, a diplomat.

Grace Schwindt 1 Extrakt von dem Interview mit Michael Saur New York, 11.02.2010 Grace Schwindt: Das Kapitel, das ich mit dir besprechen möchte, beschäftigt sich mit der Frage, was kulturelle Produktionen für eine Rolle im Umgang mit deutscher Geschichte spielen oder gespielt haben. Es gibt diese Idee, dass die kulturellen Produktionen in der Weimarer Republik als Gegensatz zur Nazizeit empfunden wurden. Wie kann eine Nation, die solch tolle Sachen hervorgebracht hat, auch Massenmörder sein? Gab es diese Ansicht, diese Art von Betrachtung und meinst du, dass heute immer noch diese Idee des Gegensatzes existiert? Michael Saur: Produktionen der Weimarer Republik als Gegensatz zu den Verbrechen der Nazizeit? GS Ja. MS Ich weiß nicht, ob es wirklich so war, dass Deutschland nach der Weimarer Republik tatsächlich in eine totale kulturelle Barbarei verfallen ist. Es war ja nicht so. Kultur und Kunst war ja etwas, dass im Dritten Reich sehr hoch angesehen wurde. Es war nur stark zensiert auf sehr problematische Art, aber es hatte einen äußerst hohen Stellenwert. Ich weiß nicht, ob es zu weit führt, aber ich habe neulich ein Interview mit dem Maler Julian Schnabel gesehen. Der hat gesagt, für ihn sind die zwei meist missverstandenen Menschen des 20. Jahrhundert Andy Warhol und Adolf Hitler. Und ich hab danach gedacht: „Hmm, was kann er damit gemeint haben?“ Julian Schnabel selber ist Jude. Und ich weiß nicht, ob, aber er könnte folgendes gemeint haben: Es wird sich ja immer so ein bisschen über Hitler’s Hintergrund als Maler lustig gemacht. Er war Künstler, also er war Künstler von der Ausbildung her und ich glaube, ihm ist einfach sein größtes Kunstwerk stark aus dem Ruder gelaufen. Aber er hatte eine Vision, die mich auch manchmal an die Land Art Künstler hier in Amerika erinnert. Die wahnsinnig visionäre Projekte verwirklichen, die Jahrzehnte dauern. Das ist ein problematischer Vergleich. Aber sagen wir mal, von seiner Visionskraft, erinnert mich das schon daran und ich glaube Julian Schnabel könnte das gemeint haben. Um noch mal auf deine Frage zurückzukommen. Ich glaube nicht, dass dieses feinsinnige künstlerische Land, plötzlich ins Mittelalter zurückgefallen ist. Das ist eine komische Ansicht. GS Nein, das eh nicht. Was meine Frage dazu ist: Sollte es als Gegensatz empfunden worden sein, bedeutet es, dass die Hochkultur etwas moralisch Gutes sei. Wenn gesagt wird, die Weimarer Republik war sehr frei, und sie war am blühen und dann plötzlich kam die Nazizeit? MS Aber was war denn genau am blühen in der Weimarer Republik? In der Malerei, war es der Expressionismus. Das waren schon tolle Sachen, aber die waren natürlich auch stark durch die Zeit geprägt. Durch die Grauen des ersten Krieges. Und es ist ja nicht so, als herrschte da eine Wahnsinnsblüte, eine Art Renaissance, wo alles wunderbar Grace Schwindt 2 war. Sondern das Land war ja schon stak verwundet in der Zeit, und es hat sich auch in der Kunst der Weimarer Republik gezeigt. GS Ich hab diese Frage aufgegriffen, sie ist mir begegnet, ich selbst empfinde es ja nicht so. Wie konnte Nazideutschland entstehen, wenn es doch so eine Hochkultur gab? MS Ich versteh schon was du sagst, und alles was ich sage, sind spielerische Überlegungen, weil ich keinen Anspruch habe, es zu wissen oder wissen zu können, aber die Überlegungen sind vielleicht gestattet. Es ist ja auch alles miteinander verknüpft, vielleicht war auch der Expressionismus zum Beispiel in seiner Extremität etwas, was angekündigt hat, was danach folgen würde. Ich finde, diese Sachen sind schwer voneinander zu trennen. GS Ja MS Also wenn man sich diese Bilder von Georg Grosz vergegenwärtigt, die sind ja schaurig und diese zerbrochenen Menschen kommen noch aus den Verletzungen des ersten Weltkrieges. Das ist eigentlich ein bisschen visionär gewesen, denn das gleiche ist später wieder passiert, dann noch schlimmer. GS Ich denke auch, dass man Zeiten unbedingt in Verbindung bringen muss. Ich finde es zum Beispiel sehr problematisch, dass es den Wunsch zu geben scheint, Nazideutschland zu isolieren. So kam es mir immer wieder vor. Dass es eben was ist, was nicht zu einem gehört. Das ist mir immer wieder begegnet. Genauso problematisch finde ich die Idee, dass Faschismus nicht Teil von einem selbst, sondern immer außen ist. Und Nazideutschland für Deutschland eine Ausnahme war, obwohl der erste Weltkrieg direkt davor passiert ist. MS Das ist ja eh eine Binsenweisheit, dass man die zwei Kriege voneinander trennen kann. Der zweite Weltkrieg oder Hitlerdeutschland wäre ohne den ersten Krieg so nicht passiert, glaube ich. GS Wie meinst du das? MS Das Selbstbewusstsein war stark angeknackst und die Nazis waren extrem geschickte Populisten und Deutschland war eine neurotische Nation nach dem ersten Weltkrieg. Der Krieg war verloren, es musste alles abgegeben werden plus die Inflation, es ging nichts mehr. Und plötzlich kommt da jemand her, und sagt, das ist ja alles falsch, wir sind ja eigentlich Wer, wir können das alles wieder zum blühen bringen. Wie man in Amerika sagt, es wholesome machen, das war eine attraktive Idee. GS für die Leute. MS Für die Leute. Natürlich. Gerade die Expressionisten, ohne dass ich mich da festbeißen will, aber die haben die ganzen Neurosen aufgezeigt. Es war kein Wunder, dass die Nazis das dann als entartete Grace Schwindt 3 Kunst erklärt haben. Die haben es als Dekadenz und Entartet bewertet, also dem deutschen Volksgemüt nicht entsprechend. GS Denkst du, dass es sowohl bei den Deutschen, als auch in der westlichen Kultur, eine Tendenz gibt, dass man, wenn man Gegensätze empfindet, sie nicht als parallel existierend akzeptieren kann? Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand gut und böse gleichzeitig sein kann. Ich frage mich, ob diese Tendenz eben auch dazu führt, dass man sagen kann, Nazideutschland oder der Erste Weltkrieg ist eine isolierte Angelegenheit. MS Das ist sicher. Ich bin kein Experte, aber das ist in anderen Kulturen, sagen wir mal, in spirituellen Kulturen, sehr viel akzeptierter, eine Ueberschneidung von Gut & Böse. Nazideutschland bildet da auch eine Ausnahme. Es ist nicht so, dass man das in der deutschen Literatur nicht immer gefunden hat, dieses, wenn man so will, Yin und Yang des Guten und Bösen. Nazideutschland ist ausgenommen. Also das ist wirklich wie so ein Stachel, der da sitzt und keiner weiß, so recht was man damit tun soll. Aber ja, das stimmt auf jeden Fall, das so zu isolieren ist lächerlich. GS Und dann wollte ich dich noch fragen, was Hochkultur bedeutet, was dieser Begriff überhaupt impliziert? MS Weiß ich eigentlich auch nicht, was Hochkultur ist, also ich könnte wahrscheinlich beantworten, was der Mann auf der Straße denkt. Das ist die klassische Musik und das sind die Klassiker in der Literatur und das am meisten entwickelte und anerkannte in der Kultur. Das ist der Kanon. Von der Philosophie ausgehend hin zur Literatur, und zur Musik und auch zur Malerei. Aber das ist eigentlich immer erst aus der Retrospektive zu erkennen. Die Impressionisten zum Beispiel, waren während ihrer Zeit nicht Hochkultur, sondern für ihre neue Art verachtet. Das lässt sich wirklich erst später sagen, was in den Kanon aufgenommen wird und was nicht. Im Kanon der Hochkultur. GS Was ich mich frage oder worauf ich auch in meiner Recherche gestoßen bin, ist, dass historisch gesehen, Hochkultur, die, der führenden Gesellschaftsschicht ist. Somit waere es eine Klassenfrage. Es geht darum, wer das Geld und die Macht hat, zu bestimmen, was gezeigt wird und was als akzeptiert dargestellt wird. Dadurch kommt es zu diesem Begriff der Hochkultur und historisch gesehen ist das die Kultur der führenden Gesellschaftsschicht, beziehungsweise die des Adels. Später hat sich Hochkultur inhaltlich definiert, und wurde Teil des Bildungsbürgertums und Richtlinien von Bildungsstrukturen. MS Klar, ich habe neulich die Interpretation irgendwo gelesen, ich glaube, es war Mark Twain, der gesagt hat: Ein Klassiker ist ein Buch, das alle gern gelesen haben möchten aber keiner gelesen hat. Und das trifft auf die Hochkultur im Allgemeinen ganz gut zu. Es ist allgemein anerkannt, steht auch im Regal und gehört zum guten Ton. Aber richtig befasst wird sich damit nicht. Willst du sagen oder meinst du, dass die Nazis sich gegen die bürgerliche Hochkultur gewendet haben, und gesagt haben, das ist alles elitär, und die populistische Richtung eingeschlagen haben? Grace Schwindt 4 GS Ich glaube schon, dass es ein Gegensatz war. Dass viele, die im Kulturbereich gearbeitet haben, ob Jude oder Kommunist, diejenigen waren, die ins Exil gegangen sind oder umgebracht worden sind. MS Ja, das stimmt ja auch. Das stimmt, ja. GS Man könnte wahrscheinlich schon sagen, dass die Kultur, die unter den Nazis gefördert wurde, populäre Kultur war. MS Ja, das kann man sagen. Künstler sind immer Freidenker und lassen sich ungern einspannen und sind durch Vorgaben provoziert. Vielleicht ist das der Grund. Es haben viele Künstler gegen die Nazis geschrieben oder gearbeitet. Das ist eine Reflexbewegung des Künstlers, sich gegen die Obrigkeit zu wenden und sich das Zeitgenössische genauer anzugucken. GS Ja, oder auch nicht. Oder? MS Wieso? Meinst du, dass Leute sich damit gepaart haben? GS Ja. MS Ja, aber wer? Natürlich gab es Leute, aber das war vielleicht die zweite Garde, die das gemacht hat. GS Ja, oder die direkt im Auftrag gehandelt haben und zum Beispiel diese ästhetischen Bilder direkt für die Regierung hergestellt hat. Propaganda eben. MS Aber das ist nicht der richtige Künstler, der kann das nicht. Er kann nicht im Auftrag arbeiten. Da ist ja auch wenig von geblieben. Es gab ja so ein paar berühmte Fälle wie Gustav Gründgens, der Theatermann, der sich mit den Nazis verbündet hat, aber künstlerisch ist da wenig geblieben. Das sind also wirklich nicht die interessanten Leute gewesen. Oder wem haben sie die Reichsschriftkammer angeboten? Wer war das gleich wieder? GS Ich weiß es nicht. MS Ich weiß nicht, mir fällt’s jetzt nicht ein, wer das war. Aber man kann auch sehen warum. Wenn man sich so manche Bücher anschaut, die in den späten dreißiger Jahren geschrieben wurden, da ist schon viel drin, was die Leute vorhergesehen haben. Und dass es den Nazis nicht Recht war, und sie dagegen vorgegangen sind, das ist klar. Aber es ist ja umso toller, dass die Künstler das vorhergesehen haben. Grace Schwindt 5 GS Was zum Beispiel? MS Zum Beispiel Franz Werfel’s ‚Die blassblaue Frauenschrift’. Das ist ein kleines Buch, echt visionär, was den Opportunismus der bürgerlichen Klasse betrifft. Die ihre Chance da sehen, sich zu etablieren, und ihr kleines Häuschen oder größeres Häuschen zu sichern. Oder auch so ein Film wie von Charlie Chaplin, 'Der große Diktator’, ist auch wahnsinnig visionär. Der ist glaube ich sechs oder siebenunddreißig gedreht worden. GS Ja, da bin ich auch immer wieder überrascht, wenn ich den sehe. MS Was da schon alles vorweggenommen wird. Ich habe die Sammlung aller New Yorker Artikel der letzten hundert Jahre, und da habe ich neulich mal ein Porträt gelesen. Der New Yorker ist ein Magazin hier und die sind bekannt für ihre sehr langen Porträts, sehr intelligent gemachte Sachen. Da habe ich das erste Porträt von Hitler gelesen, das sie geschrieben haben, ich glaube das war kurz nachdem er die Wahl für sich entschieden hatte. Auf die eine oder andere Art, 34, glaube ich. Und auch da ist eigentlich schon alles vorhergesagt, was passieren wird. GS Und wer hat das geschrieben? MS Das war ein Journalist, das war kein Schriftsteller. GS Ein Amerikaner? MS Ein Amerikaner, ja. Der fuer diesen Artikel nach Deutschland gefahren ist. Es kam eindeutig vor, dass der Mann sehr sehr gefährlich ist, und in seinen Visionen und in seinem Ehrgeiz keine Grenzen kennt.